Erstveröffentlichung am 21. September 2018, zuletzt aktualisiert am 08. September 2024. Autor: Dr. jur. Stephan Seitz
BGH zum digitalen Erbe
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BGH zum digitalen Erbe
BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17
Bedeutung des Urteils
Der BGH hat entschieden, dass Daten vererbbar sind und damit an die Erben übergehen. Alles andere wäre höchst problematisch gewesen: die Nutzung der Daten von Verstorbenen wäre sonst alleine bei den Plattformen gelegen, die damit weitgehend frei hätten umgehen können. Sicherlich kein Szenario was man sich als Mitglied eines sozialen Netzwerks erwartet. Wer sich tiefergreifend mit dem BGH-Urteil und dessen Bedeutung sowie auch Kritik beschäftigen möchte, kann dies bei verfassungsblog.de tun.
Inhaltsverzeichnis: Darum geht es auf dieser Seite
Mein Name ist Stephan Seitz, ich bin Jurist und war vor wenigen Jahren selbst Teil einer Erbengemeinschaft. Dabei wurde mir klar: Miterben wollen keinen Streit, sondern eine Lösung. Alles was Sie dafür wissen müssen, schreibe ich hier auf. Mehr zu meiner Person.
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Sachverhalt: Mutter verlangt von Facebook Zugang zum Konto der verstorbenen Tochter, das in den sog. Gedenkzustand versetzt wurde
Die Tochter hatte sich mit 14 Jahren mit Zustimmung ihrer Eltern bei Facebook angemeldet. Knapp zwei Jahre später ist die Tochter tödlich verunglückt, sie wurde von einer S-Bahn erfasst. Auf Hinweis eines Freundes hat Facebook das entsprechende Konto in den Gedenkzustand versetzt, so dass die Mutter sich mit den (ihr bekannten) Logindaten nicht mehr einloggen konnte. Die Mutter wollte hierbei insbesondere Auskunft erlangen, ob ihre Tochter Suizidabsichten hatte. Desweiteren benötige sie den Zugang um Schadenersatzansprüche des U-Bahn-Fahrers abzuwehren.
Seitens Facebook wurde der Zugang zum Konto verweigert.
Entscheidung des BGH: Der Account auf Facebook ist vererblich
Die Vorinstanz hatte sich garnicht detailliert damit beschäftigt, ob der Account vererbt wurde. Vielmehr stellte das Gericht in den Vordergrund, dass es an einer gesetzlichen Erlaubnis zur Weitergabe von Telekommunikationsinhalten an die Erben nach § 88 Abs. 3 Satz 3 TKG fehlt. Das Gericht stellte damit den Schutz des Fernmeldegeheimnisses in den Vordergrund.
Insbesondere fehle es an einer gesetzlichen Erlaubnis zur Weitergabe von Telekommunikationsinhalten an die Erben nach § 88 Abs. 3 Satz 3 TKG, die sich ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge beziehe. Diese Voraussetzungen würden weder § 1922 BGB noch §§ 91 ff TKG erfüllen. Die Erben seien auch nicht am Kommunikationsvorgang beteiligt und daher „andere“ im Sinne von § 88 Abs. 3 Satz 3 TKG. Das Fernmeldegeheimnis müsse zudem nicht im Wege der praktischen Konkordanz hinter die Interessen der Erben zurücktreten, weil dieses keine Rechtfertigung für einen Eingriff ohne entsprechendes Gesetz biete.
Die Zugangsgewährung sei auch nicht aufgrund einer Einwilligung der Kommunikationsteilnehmer möglich. Ungeachtet dessen, ob die Erblasserin eine solche Einwilligung erteilt habe, fehle jedenfalls eine konkludente oder mutmaßliche Einwilligung ihrer Kommunikationspartner in die Weitergabe von Kommunikationsinhalten an die Erben.
Der BGH hingegen sieht die Lage anders.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage begründet. Die Klägerin ist berechtigt, von der Beklagten zu verlangen, der Erbengemeinschaft Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin sowie den darin enthaltenen Inhalten zu gewähren. Ein solcher Anspruch ist vererblich, und es stehen ihm weder das postmortale Persönlichkeitsrecht noch das Fernmeldegeheimnis, datenschutzrechtliche Regelungen oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kommunikationspartner der Erblasserin entgegen.
Das Benutzerkonto bei Facebook basiert auf einem schuldrechtlichen Vertrag, der ganz normal vererbt wird.
Das Vertragsverhältnis mit seinen Rechten und Pflichten ist mit dem Tod der Erblasserin nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben übergegangen, die hierdurch in dieses eingetreten sind und deshalb als Vertragspartner einen Anspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto der Erblasserin sowie den darin enthaltenen vermögensrechtlichen und höchstpersönlichen (digitalen) Inhalten haben.
Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht das Vermögen als Ganzes auf die Erben über. Hierzu gehören grundsätzlich auch Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schuldrechtlichen Verträgen wie dem hier vorliegenden Nutzungsvertrag, wobei der Erbe in die vertragliche Rechtsstellung mit sämtlichen Rechten und Pflichten eintritt.
Die Vererbbarkeit des aus dem Nutzungsvertrag folgenden Anspruchs auf Zugang zu dem Benutzerkonto ist weder durch die vertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen (hierzu unter (1)) noch lässt sich ein Ausschluss der Vererbbarkeit aus dem Wesen des Vertrags ableiten (hierzu unter (2)). Auch eine Differenzierung nach der Art des Inhalts der auf dem Konto gespeicherten Daten ist abzulehnen (hierzu unter (3)).
Weiter führt der BGH mit Blick auf die höchstpersönlichen Rechte u.a. auch der übrigen Facebook-Nutzer, die mit der Erblasserin in Kontakt standen, aus:
Die höchstpersönliche, eine Vererbbarkeit ausschließende Natur des Vertrags ergibt sich auch nicht daraus, dass die Nutzer der Beklagten die „nichtexklusive, übertragbare, unterlizensierbare, gebührenfreie, weltweite Lizenz für die Nutzung jeglicher IP-Inhalte“ (Nummer 2.1. der AGB) gewähren. Zwar erhält die Beklagte hierdurch – die Wirksamkeit der Klausel vorausgesetzt – Rechte auf individuelle, personenbezogene Daten. Diese bleiben aber ungeachtet des erbrechtlichen Übergangs bestehen. Denn durch den Erbfall wird die Datenbasis, über die die Beklagte vertragsgemäß verfügen darf, nicht verändert. Die im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Daten bleiben nutzbar, weitere persönliche Daten kommen nicht hinzu, da der Anspruch der Klägerin nicht auf die aktive Fortführung des Kontos und das Erstellen von Inhalten, sondern auf den Zugang zu dem bestehenden Konto und dessen Inhalten zielt. Insofern ist für die Beklagte ein Wechsel der Person des Kontoberechtigten nicht unzumutbar.
Der höchstpersönliche Charakter und damit der vertragliche Ausschluss der Vererbbarkeit des Zugangsrechts zu dem Benutzerkonto folgt auch nicht aus im Nutzungsvertrag stillschweigend vorausgesetzten und damit immanenten Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner der Erblasserin. Zwar mag der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks in der Erwartung erfolgen, dass Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerkes und sonstige nicht öffentlich geteilte Inhalte jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und durch die Beklagte dritten Personen gegenüber nicht offengelegt werden. Es besteht jedoch nach den vertraglichen Regeln und den zugrunde liegenden technischen Bedingungen kein schutzwürdiges Vertrauen, dass diese Diskretion des Austausches zwischen dem verstorbenen Nutzer und den übrigen Teilnehmern des Netzwerks – auch über den Tod hinaus – gegenüber den Erben gewährleistet ist.
Auch die geltend gemachten Einwände mit Blick auf das Fernmeldegesetz weist der BGH deutlich zurück, da weder Erblasser noch Kommunikationspartner vom Schutz des TKG umfasst sind.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert ein Anspruch der Erbengemeinschaft auf Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto der Erblasserin und den darin vorgehaltenen Inhalten auch nicht an § 88 Abs. 3 TKG. Das Fernmeldegeheimnis schützt weder den Erblasser noch den jeweiligen Kommunikationspartner vor einer Kenntnisnahme des Erben vom Inhalt des Benutzerkontos. Dies gilt sowohl für die zum Zeitpunkt des Todes durch den Erblasser noch nicht abgerufenen als auch hinsichtlich der bereits zur Kenntnis genommenen, auf den Servern der Beklagten zwischen- beziehungsweise endgespeicherten Inhalte.
Bedeutung des Urteils: Vererbung eines Facebook-Accounts an eine Erbengemeinschaft
Das Urteil ist nur konsequent und bringt die digitale Welt mit der analogen Welt zusammen. Hätte der Erblasser in seiner Wohnung Briefe mit Freunden aufgehoben oder ein Tagebuch geschrieben, so hätte wahrscheinlich niemand ernsthaft überlegt, ob man den Zugang zur Wohnung den Erben verwehren muss. Ob derartige Nachrichten nun analog oder digital vorliegen, darf keinen Unterschied machen. Genau so hat der BGH auch entschieden!
Überraschend ist auch, dass gerade Facebook sich auf den Datenschutz beruft um den Accountzugang zu verwähren. Als großer Datenschützer ist Facebook bislang nie in Erscheinung getreten.
Ich habe mich auch bereits mit dem digitalen Erbe auseinandersetzen müssen und interessanterweise hatte ich Hilfe über eine Detektei gefunden, die sich ebenfalls mit dem Thema bereits auseinandergesetzt hatte. Hier ist übrigens ein Link zu einem Beitrag von denen, der mich veranlasste mit diesen Kontakt aufzunehmen.
Wir, die bereits über 50zig sind und möglicherweise wenig mit Accounts zu tun haben, jedoch die Generation die nach uns folgt wiederum damit aufwächst, wird diese Problematik noch stark beschäftigen. Onlinekonten, Onlineshops, Softwarelizenzen, alles mögliche spielt da rein und es wird ja nicht weniger werden. Wir werden diesbezüglich noch viel dazu lernen müssen.