Erstveröffentlichung am 06. Dezember 2021, zuletzt aktualisiert am 18. August 2024. Autor: Dr. jur. Stephan Seitz
Erbverzicht: Warum, wie und welche Folgen
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Inhaltsverzeichnis: Darum geht es auf dieser Seite
- Welche Folgen hat ein Erbverzicht?
- Welchen Zweck hat ein Erbverzicht?
- Erbverzicht gegen Abfindung
- Gläubiger können Erbverzicht nicht anfechten
- Wer kann auf das Erbe verzichten?
- Welche Anforderungen gelten in der Person des Erblassers?
- Erbverzicht gilt nur im Verhältnis zum Erblasser
- Zu wessen Gunsten kann verzichtet werden?
- Verzicht ausschließlich zugunsten einer anderen Person
- Erbverzicht erfasst den ganzen Stamm
- Erfasst der Erbverzicht auch den Pflichtteil?
- In welcher Form muss der Erbverzicht erklärt werden?
- Zugewinnausgleichsanspruch besteht unabhängig vom Erbverzicht
- Fazit
Mein Name ist Stephan Seitz, ich bin Jurist und war vor wenigen Jahren selbst Teil einer Erbengemeinschaft. Dabei wurde mir klar: Miterben wollen keinen Streit, sondern eine Lösung. Alles was Sie dafür wissen müssen, schreibe ich hier auf. Mehr zu meiner Person.
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Welche Folgen hat ein Erbverzicht?
Wer auf sein Erbrecht verzichtet, ist von der Erbfolge ausgeschlossen und wird nicht Erbe. Er wird so behandelt, als existiere er zur Zeit des Erbfalls nicht. Da der Erblasser im Wege des Erbverzichts die Erbauseinandersetzung seiner Angehörigen zu Lebzeiten nach seinen eigenen Vorstellungen selbst regeln kann, spricht man auch von der vorweggenommenen Erbfolge. Deshalb kann der Erbverzicht auch nur vor dem Erbfall erklärt werden. Das Ergebnis entspricht für die Zeit nach dem Erbfall dem der Ausschlagung. Der Erbverzicht verhindert also von vornherein den Anfall der Erbschaft an den Erben.
Welchen Zweck hat ein Erbverzicht?
Der Erbverzicht nimmt die spätere Erbfolge vorweg. Dafür kann es gute Gründe geben. Im Regelfall steht der Erbverzicht im Zusammenhang mit einer Abfindung zu Gunsten des Erben, der auf seinen Erbteil verzichtet.
- Ein Erbe, der auf seinen Erbteil verzichtet, kann auf diesem Weg erreichen, dass ihm der auf ihn entfallende Anteil am Nachlass vorzeitig übertragen wird. Mit der Abfindung steht beispielsweise Kapital für die Gründung einer eigenen Existenz zur Verfügung.
- Ein Erbverzicht kann einen Weg darstellen, um durch die Vorwegabfindung eines Erben die Entstehung einer Erbengemeinschaft zu vermeiden und die bei Erbauseinandersetzungen nicht seltenen Schwierigkeiten und Streitigkeiten zu verhindern.
Praxis-Beispiel: Herr Müller hinterlässt drei Kinder. Die Kinder sind heillos zerstritten. Um zu vermeiden, dass die Kinder nach seinem Ableben ihren Zwist in der Erbengemeinschaft fortsetzen, bestimmt Herr Müller Kind A zum Alleinerben. Mit Kind B und Kind C schließt er einen Erbverzichtsvertrag, in dem als Gegenleistung Kind B eine Eigentumswohnung und Kind C ein Wertpapierdepot übertragen werden. - Ein Erbverzicht kann einen Weg darstellen, um ein über Generationen ererbtes Familienvermögen zu bewahren. Das kann ein landwirtschaftlicher Betrieb sein, ein Unternehmen oder etwa eine Kunstsammlung.
Herr Müller ist Unternehmer. Er möchte den Betrieb in seiner Gesamtheit erhalten und nach seinem Ableben für klare Verhältnisse sorgen. Hinterlässt Herr Müller drei Kinder, erben diese als gesetzliche Erben jeweils ein Drittel des Nachlasses und damit auch ein Drittel des Unternehmens. Selbst wenn Herr Müller Kind A als Alleinerbe bestimmt, hätten Kind B und Kind C Pflichtteilsansprüche von je einem Sechstel. Da auch die Pflichtteilsansprüche den Bestand des Unternehmens gefährden können, schließt Herr Müller mit Kind B und Kind C einen Erbverzichtsvertrag. Zum Ausgleich für den Erbverzicht erhalten Kind B und Kind C eine Abfindung. Damit ist gewährleistet, dass die Führungsfrage im Unternehmen geregelt ist und das Unternehmen durch Kind A in seinem wirtschaftlichen Bestand fortgeführt werden kann. Zudem bietet der Erbverzicht die Möglichkeit, eine Abfindung in Zeiten guter Liquidität vorzunehmen und durch eine Zahlung in Teilbeträgen über einen längeren Zeitraum zu strecken. - Ein Erbverzicht kann sich auch nur auf einen Teil des gesetzlichen Erbrechts (z.B. Pflichtteil) beschränken. Setzen sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament (Berliner Testament) gegenseitig als Alleinerbe des zuerst versterbenden Partners ein, hat das gemeinsame Kind der Ehegatten beim Tod eines Elternteils einen Pflichtteilsanspruch. Um zu vermeiden, dass der überlebende Ehepartner als Alleinerbe das Kind auszahlen muss, wird im Hinblick auf das Pflichtteilsrecht oft ein Erbverzicht vereinbart. Zugleich werden die Kinder zu Schlusserben des zuletzt verstorbenen Ehegatten eingesetzt. Haben die Kinder auf ihren Pflichtteil verzichtet, erben sie erst nach dem Tod des überlebenden Elternteils den Nachlass. Für die Kinder ergibt sich der Vorteil, dass sie nicht auf die Pflichtteilsansprüche verwiesen werden, sondern den gesamten vorhandenen Nachlass erben.
Erbverzicht gegen Abfindung
Im Regelfall wird der Erbverzicht gegen eine Abfindung erklärt. Nur dann macht der Erbverzicht wirklich Sinn. Da der Verzicht bereits mit der notariellen Beurkundung wirksam wird, trägt der Verzichtende das Risiko, dass er sich zwar vertraglich verpflichtet hat, die Abfindung aber nicht erhält.
Streitigkeiten lassen sich sicher vermeiden, wenn der Erbverzicht davon abhängig gemacht wird, dass der Erblasser die Abfindung tatsächlich zahlt. Bleibt die Abfindungszahlung aus, kann ein Rücktrittsrecht vereinbart werden. Der Verzichtende kann dann vom Erblasser die Aufhebung des Erbverzichtsvertrages verlangen. Die dafür notwendige Erklärung kann eingeklagt werden.
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Gläubiger können Erbverzicht nicht anfechten
Hat ein gesetzlicher Erbe den Erbverzicht erklärt und wird insolvent oder erweist sich gegenüber seinen Gläubigern als zahlungsunfähig, werden Gläubiger bestrebt sein, den Erbverzicht anzufechten. Ein Anfechtungsrecht ist jedoch ausgeschlossen. Der Erbverzicht führt nämlich dazu, dass der Anfall der Erbschaft von vornherein verhindert wird. Deshalb fällt der Nachlass und der Erbteil des Verzichtenden nicht in die Insolvenzmasse des Verzichtenden, auf die die Insolvenzgläubiger zugreifen könnten.
Gläubiger haben kein Anfechtungsrecht, da mit dem Erbverzicht lediglich die Aussicht auf ein künftiges Erbrecht aufgegeben wird und es sich um ein höchstpersönliches Recht des Verzichtenden handelt (BGH NJW 2013, 692).
Wer kann auf das Erbe verzichten?
„Verzichtsberechtigt“ ist jeder zukünftige gesetzliche Erbe. Auch der Ehegatte sowie der zukünftige Ehegatte kann verzichten.
Der Verzichtende kann den Vertrag persönlich abschließen, kann aber auch eine andere Person bevollmächtigen. Ist der Verzichtende beschränkt geschäftsfähig, braucht er die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Steht er unter Vormundschaft, ist die familiengerichtliche Genehmigung erforderlich. Ist der Verzichtende geschäftsunfähig, braucht er neben der Zustimmung der Eltern die Genehmigung des Familiengerichts. Steht der Verzichtende unter Betreuung und wird der Erbverzicht durch den Betreuer erklärt, ist die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich.
Welche Anforderungen gelten in der Person des Erblassers?
Der Erblasser kann den Vertrag nur persönlich abschließen. Er kann zum Vertragsabschluss keine andere Person bevollmächtigen. Ist der Erblasser beschränkt geschäftsfähig, also Kinder zwischen den 7. und 18. Lebensjahr, kann er den Vertrag alleine abschließen (§ 2347 Abs. II BGB).
Ist der Erblasser geschäftsunfähig, kann der Erbverzicht durch den gesetzlichen Vertreter erklärt werden, bedarf aber noch der Genehmigung des Familiengerichts. Will ein Betreuer für die betreute Person handeln, bedarf es der Genehmigung des Betreuungsgerichts.
Erbverzicht gilt nur im Verhältnis zum Erblasser
Der Erbverzichtsvertrag betrifft nur das Verhältnis zwischen Erblasser und dem Erben, der den Verzicht erklärt. Er erlangt keine Bedeutung, wenn der Nachlass des Erblassers dem Verzichtenden als Teil des Nachlasses eines Dritten zufällt, der diesen von dem Erblasser erworben hat.
Zu wessen Gunsten kann verzichtet werden?
Erklärt ein gesetzlicher Erbe den Erbverzicht, wächst sein Anteil am Nachlass den übrigen Erben zu.
Verzicht ausschließlich zugunsten einer anderen Person
Der Verzicht kann konkret und ausschließlich zugunsten einer anderen Person erklärt werden. Dann gilt der Verzicht im Zweifel nur, wenn diese Person auch wirklich Erbe wird (§ 2350 BGB).
Verzichtet ein Kind auf sein gesetzliches Erbrecht, ist der Verzicht im Zweifel nur zu Gunsten der anderen Abkömmlinge und des Ehegatten oder Lebenspartners des Erblassers zu verstehen (§ 2350 Abs. II BGB). Das Gesetz unterstellt, dass der Verzichtende nur zu Gunsten der nächsten Angehörigen verzichten möchte. Eine Begünstigung entfernterer Verwandte oder gar fremder Dritter ist regelmäßig nicht gewollt. Ungeachtet dessen kann aber auch eine anderweitige Vereinbarung getroffen werden.
Erbverzicht erfasst den ganzen Stamm
Der Verzicht eines Kindes des Erblassers oder eines Seitenverwandten des Erblassers (Bruder, Schwester, Neffe, Nichte) erstreckt sich auf den gesamten Stamm, sofern nichts anderes vereinbart ist. Dieser Stamm wird erbrechtlich dann so behandelt, als wenn er nicht existent wäre. Auf die Zustimmung der Stammesangehörigen kommt es nicht an. Diese werden nicht gefragt, ob sie den Erbverzicht billigen oder nicht.
Erfasst der Erbverzicht auch den Pflichtteil?
Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht schließt im Zweifel den Verzicht auf Pflichtteilsansprüche ein (§ 2346 S. 2 BGB). Ungeachtet dessen kann der Verzichtende den Verzicht auf das Pflichtteilsrecht beschränken.
Der Verzicht auf das Pflichtteilsrecht hat für den Erblasser die Gewissheit, dass die von ihm vorgenommene Verteilung des Nachlasses nicht dadurch vereitelt wird, dass die Erben nach seinem Ableben Pflichtteilsansprüche geltend machen.
In welcher Form muss der Erbverzicht erklärt werden?
Der Erbverzichtsvertrag bedarf der notariellen Beurkundung (§ 2348 BGB). Mündliche oder privatschriftliche Absprachen sind unwirksam. Während der Erbvertrag bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien vor dem Notar geschlossen werden muss, ist die gleichzeitige Anwesenheit der Parteien vor einem Notar beim Erbverzicht nicht notwendig.
Zugewinnausgleichsanspruch besteht unabhängig vom Erbverzicht
Lebten die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, erstreckt sich der Erbverzicht nicht automatisch auch auf den Anspruch auf Zugewinnausgleich. Wegen des Erbverzichts wird der überlebende Ehegatte nicht Erbe des verstorbenen Partners. Er kann aber gegenüber den Erben Zugewinnausgleich fordern, wenn der verstorbene Partner während der Ehe mehr Vermögenswerte erwirtschaftet hat als er selbst.
Soll auch der Zugewinnausgleichsanspruch ausgeschlossen werden, muss der Ausschluss in einem Ehevertrag erfolgen. Dann wird im Regelfall Gütertrennung vereinbart. Der Ehevertrag kann mit dem Erbverzichtsvertrag verbunden werden. Beide Verträge müssen notariell beurkundet werden.
Fazit
Für den Verzicht auf das Erbe bedarf es auf Seiten des Erblassers als auch auf Seiten des Erben guter Gründe. Wegen der damit verbundenen Konsequenzen sollten Sie sich frühzeitig kompetent beraten lassen. Zwar sind auch Notare verpflichtet, alle Beteiligten fair und unvoreingenommen zu beraten. Da Notare keine Interessenvertreter sind, empfiehlt sich im Regelfall vorab die anwaltliche Beratung.