Erstveröffentlichung am 17. August 2022, zuletzt aktualisiert am 18. August 2024. Autor: Dr. jur. Stephan Seitz
Nachlassgericht: Aufgaben rund um Nachlass und Erbe
7 Minuten sinnvoll investierte LesezeitIst ein Mensch verstorben, stehen die Angehörigen und Verwandten des Erblassers vor der Herausforderung, über die Trauer und den Verlust eines Menschen hinweg mit dem Todesfall umgehen und den Nachlass abwickeln zu müssen. Oft bestehen große Unsicherheiten, wer überhaupt Erbe ist, welche Rechte und Pflichten Erben, Vermächtnisnehmer oder Pflichtteilsberechtigte haben. Es ist naheliegend, sich in dieser Situation an das Nachlassgericht zu wenden, in der allerdings trügerischen Hoffnung, dort informiert, beraten und bei der Abwicklung des Erbfalls begleitet zu werden.
Inhaltsverzeichnis: Darum geht es auf dieser Seite
- Was ist das Nachlassgericht?
- Wofür sind die Nachlassgerichte zuständig?
- Wofür sind die Nachlassgerichte nicht zuständig?
- Was sind die Aufgaben des Nachlassgerichts?
- Wie erfährt das Nachlassgericht von einem Todesfall?
- Wie finde ich das für mich zuständige Nachlassgericht?
- Wie sind die Zuständigkeiten beim Nachlassgericht geregelt?
- Muss das Nachlassgericht die Erben ermitteln?
- Wie erfährt das Nachlassgericht, dass ein Testament oder Erbvertrag existiert?
- Aufgaben des Nachlassgerichts für die Erbengemeinschaft
- Verkauf des Erbteils
- Anordnung der Testamentsvollstreckung
- Gemeinschaftlicher Erbschein
- Auseinandersetzungsklage
- Welche Rechtsmittel gibt es gegen Entscheidungen des Nachlassgerichts?
Mein Name ist Stephan Seitz, ich bin Jurist und war vor wenigen Jahren selbst Teil einer Erbengemeinschaft. Dabei wurde mir klar: Miterben wollen keinen Streit, sondern eine Lösung. Alles was Sie dafür wissen müssen, schreibe ich hier auf. Mehr zu meiner Person.
Bitte beachten Sie meine rechtlichen Hinweise für diese Webseite. Der Inhalt dient ausschließlich der allgemeinen Information und Bildung sowie zur Unterhaltung. Für eine verbindliche Auskunft wenden Sie sich bitte an einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder vergleichbaren Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet.
Was ist das Nachlassgericht?
Das Nachlassgericht ist innerhalb der Amtsgerichte eine besondere Abteilung für Nachlassangelegenheiten. Es handelt sich nicht um einen eigenständigen Gerichtszweig wie Finanzgericht, Verwaltungsgericht oder Arbeitsgericht.
Wofür sind die Nachlassgerichte zuständig?
Nachlassgerichte sind für alle Aufgaben zuständig, die den Gerichten im Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches zugewiesen sind. Das Verfahren in Nachlasssachen ist zudem in §§ 342 ff FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) im Detail geregelt.
Wofür sind die Nachlassgerichte nicht zuständig?
Die Nachlassgerichte sind zuständig für die im Gesetz geregelten Aufgaben. Zu diesen Aufgaben gehört aber nicht, die Erben oder vermeintliche Erben über ihre mit dem Todesfall verbundenen Rechte und Pflichten zu informieren oder gar zu beraten.
Nachlassgerichte informieren oder beraten mithin nicht darüber, …
- ob ein Testament wirksam erstellt wurde oder ob es formelle oder materielle Fehler gibt,
- wie eventuell vorhandene Erben ermittelt werden können,
- ob der Miterbe einer Erbengemeinschaft über einen Nachlassgegenstand verfügen kann,
- ob der Erbe die Erbschaft annehmen oder ausschlagen sollte,
- wie hoch die zu erwartende Erbschaftssteuer ist,
- wie der Nachlass auseinandergesetzt werden soll,
- unter welchen Voraussetzungen ein per letztwilliger Verfügung enterbter gesetzlicher Erbe den Pflichtteil geltend machen kann,
- wie eine Teilungsversteigerung durchgeführt wird,
- ob ein Erbe für ungültig erklärt werden kann.
Was sind die Aufgaben des Nachlassgerichts?
Die Aufgaben der Nachlassgerichte ergeben sich aus § 342 ff FamFG und den einzelnen Bestimmungen im Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 1922 ff BGB). Im Überblick sind dies folgende Aufgaben: …
- Entgegennahme und amtliche Verwahrung von Verfügungen von Todes wegen (Testamente, Erbverträge),
- Maßnahmen zur Sicherung des Nachlasses einschließlich der Nachlasspflegschaft,
- Eröffnung von Verfügungen von Todes wegen (Testamente, Erbverträge),
- Entgegennahme von Erklärungen, die nach gesetzlicher Vorschrift dem Nachlassgericht gegenüber abzugeben sind (z.B. Ausschlagung der Erbschaft durch den gesetzlichen Erben, Anzeige des Verkaufs der Erbschaft oder von Erbanteilen),
- Erteilung von Erbscheinen,
- Ernennung eines Testamentsvollstreckers,
- Erteilung von Testamentsvollstreckerzeugnissen,
- Anordnung der Nachlassverwaltung,
- Ermittlung von Erben (unter Einschränkungen),
- Verfahren über die Teilung und Auseinandersetzung des Nachlasses und des Gesamtgutes, wenn der oder die Verstorbene im Güterstand der Gütergemeinschaft lebte.
Wie erfährt das Nachlassgericht von einem Todesfall?
Stirbt ein Mensch, informieren die Angehörigen das Standesamt. Das Standesamt, das den Todesfall beurkundet und die Sterbeurkunde ausstellt, benachrichtigt das zuständige Nachlassgericht über die Person des Verstorbenen. Da das Standesamt auch das Familienstammbuch führt, das die Namen und zuletzt bekannten Adressen von Eltern und Kindern der verstorbenen Person beinhaltet, erfährt das Nachlassgericht, welche Personen als potentielle Erben in Betracht kommen.
Das Nachlassgericht informiert die Angehörigen von Amts wegen über den Tod des Verstorbenen. Zugleich setzt das Nachlassgericht den Angehörigen, die als gesetzliche Erben in Betracht kommen, eine Frist von sechs Wochen ab der Zustellung der Mitteilung, innerhalb derer die Angehörigen das Erbe annehmen oder die Erbschaft ausschlagen können.
Wie finde ich das für mich zuständige Nachlassgericht?
Örtlich zuständig ist das Nachlassgericht (Amtsgericht) in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 343 FamFG). Der gewöhnliche Aufenthalt ist normalerweise mit dem Wohnsitz identisch. Als letzter Wohnsitz kommt auch den Ort eines Pflegeheims in Betracht, in dem der Erblasser dauerhaft zuletzt gelebt hat.
Hatte der Erblasser keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und lebte im Ausland, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser (z.B. vor dem Umzug ins Ausland) seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Lässt sich im Zweifel keine derartige Zuständigkeit begründen, ist das Amtsgericht Schöneberg in Berlin zuständig, wenn der Erblasser deutscher Staatsangehöriger ist oder sich Nachlassgegenstände in Deutschland befinden.
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Wie sind die Zuständigkeiten beim Nachlassgericht geregelt?
Funktionell sind die Aufgaben bei den Nachlassgerichten zwischen Richter und Rechtspfleger aufgeteilt. Soweit Nachlasssachen nicht ausdrücklich per Gesetz dem Richter vorbehalten sind, ist der Rechtspfleger zuständig (§ 16 RPflG). So ist der Richter formal zuständig, wenn ein Erbschein beantragt wird. In der Praxis übertragen die Richter diese Aufgabe aber meist dem Rechtspfleger.
Muss das Nachlassgericht die Erben ermitteln?
Zu den gesetzlich benannten Aufgaben der Nachlassgerichte gehört zwar auch die Ermittlung der Erben. Allerdings betreiben die Nachlassgerichte die Ermittlung von Erben nicht in der Weise, dass der zuständige Rechtspfleger verpflichtet wäre, mit letzter Konsequenz zu handeln.
Lediglich in Bayern (Art. 37 AGGVG) und Baden-Württemberg (§ 41 LFGG) sind Nachlassgerichte verpflichtet, die Erben von Amts wegen zu ermitteln. Diese Pflicht schränkt das Gesetz aber gleichzeitig wieder ein, wenn zum Nachlass kein Grundstück gehört und davon auszugehen ist, dass der Nachlass die Beerdigungskosten nicht übersteigt oder die Ermittlung von Erben mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre.
Gehört ein Grundstück zum Nachlass, soll das Nachlassgericht jedoch im Hinblick auf die im öffentlichen Interesse liegende Berichtigung des Grundbuches bei den Erben darauf hinwirken, dass das Grundbuch berichtigt wird. Zwangsläufig muss das Gericht wegen der Erben dazu Ermittlungen anstellen.
Das Gericht kann auch einen Nachlasspfleger bestellen und diesen beauftragen, unbekannte Erben zu ermitteln. Nachlasspfleger bedienen sich dazu oft professioneller gewerblicher Erbenermittler. Erbenermittler arbeiten wie Detektive. Sie recherchieren in Archiven von Personenstandsbüchern der Gemeinden oder in Kirchenbüchern und versuchen dort, wo der Erbe zuletzt gelebt hat, Informationen über seinen Verbleib zu beschaffen. Wichtig ist, dass der Erbenermittler, der keinen anerkannten Berufsstand ausübt, über die notwendigen Kompetenzen verfügt.
Wie erfährt das Nachlassgericht, dass ein Testament oder Erbvertrag existiert?
Finden Angehörige in den Unterlagen des Verstorbenen ein Testament, sind sie verpflichtet, die Urkunde im Original unverzüglich beim Nachlassgericht abzuliefern (§ 2259 BGB). Ist zu vermuten, dass in den Unterlagen des Erblassers ein Testament existiert, kann das Nachlassgericht von Angehörigen die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über den Verbleib der Urkunde verlangen.
Verweigert jemand die Ablieferung, kann das Nachlassgericht Ordnungstrafen verhängen und Zwang anwenden. Die Ablieferung darf auch dann nicht verweigert werden, wenn der Angehörige das Testament für unwirksam oder zeitlich veraltet hält oder von einer Fälschung ausgeht. Wer ein Testament unterdrückt, macht sich wegen Urkundenunterdrückung strafbar (§ 274 StGB) und den Erben gegenüber schadensersatzpflichtig.
Wird das Testament beim Nachlassgericht abgeliefert oder hat der Verstorbene ein handschriftlich verfasstes Testament beim Nachlassgericht hinterlegt, wird das Nachlassgericht von sich aus tätig. Es eröffnet das hinterlegte Testament und informiert die Angehörigen schriftlich über die Testamentseröffnung. Die Information erfolgt an alle Angehörigen, die als Erben in Betracht kommen, auch solche, die im Testament möglicherweise von der Erbfolge ausgeschlossen wurden.
Gleiches gilt, wenn der Erblasser ein notarielles Testament verfasst oder einen Erbvertrag notariell beurkundet hat. Auch diese letztwilligen Verfügungen befinden sich in amtlicher Verwahrung beim Nachlassgericht. Alle letztwilligen Verfügungen, die das Nachlassgericht in Verwahrung genommen hat, werden elektronisch an das Zentrale Testamentsregister gemeldet.
Das Nachlassgericht kann zur Testamentseröffnung einen Termin bestimmen und die beteiligten Erben zum Termin laden. In der Praxis begnügen sich die Gerichte aber regelmäßig damit, den im Testament genannten Erben und denjenigen Personen, die als Ehegatte oder Verwandte zum Kreis der gesetzlichen Erben gehören, den Inhalt der Verfügung von Todes wegen schriftlich bekanntzugeben.
Hinterlässt der Erblasser keine letztwillige Verfügung, benachrichtigt das Nachlassgericht die gesetzlichen Erben von Amts wegen, soweit allem Anschein nach ein die Beerdigungskosten übersteigender Nachlass vorhanden ist. Mit einschränkenden Ausnahmen in Bayern und Baden-Württemberg ist das Nachlassgericht aber nicht verpflichtet, die Erben von Amts wegen zu ermitteln.
Der Benachrichtigung ist die Belehrung beigefügt, dass die Erben unter Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Form und Frist die Erbschaft auch ausschlagen können.
Befindet sich eine letztwillige Verfügung seit mehr als 30 Jahren in amtlicher Verwahrung, so soll das Nachlassgericht von Amts wegen ermitteln, ob der Erblasser noch lebt. Kann nicht festgestellt werden, ob der Erblasser noch lebt, ist die Verfügung von Todes wegen zu eröffnen (§ 351 FamFG).
Aufgaben des Nachlassgerichts für die Erbengemeinschaft
Hinterlässt der Erblasser mehrere Erben, entsteht eine Erbengemeinschaft. Soweit die Miterben in der Erbengemeinschaft sich über die Abwicklung des Nachlasses nicht verständigen können, kann das Nachlassgericht die Abwicklung des Erbfalls im Rahmen der gesetzlich übertragenen Aufgaben begleiten.
Verkauf des Erbteils
Will ein Miterbe seinen Erbteil verkaufen, ist er verpflichtet, den Verkauf und den Namen des Erwerbers gegenüber dem Nachlassgericht anzuzeigen (§ 2384 BGB). So sollen die Nachlassgläubiger feststellen können, wer nun Zugriff auf den Nachlass hat. Das Nachlassgericht kann jedem die Einsicht in die Verkaufsanzeige gestatten, der ein rechtliches Interesse daran glaubhaft macht (§ 2384 Abs. II BGB).
Anordnung der Testamentsvollstreckung
Will der Erblasser vermeiden, dass sich die Erben wegen der Abwicklung des Nachlasses streiten und gewährleisten, dass sein letzter Wille zuverlässig verwirklicht wird, kann er die Testamentsvollstreckung anordnen und eine Person seines Vertrauens zum Testamentsvollstrecker bestimmen oder die Bestimmung des Testamentsvollstreckers auch dem Nachlassgericht überlassen. Um sich gegenüber Dritten zu legitimieren, stellt das Nachlassgericht dem Testamentsvollstrecker ein Testamentsvollstreckerzeugnis aus.
Gemeinschaftlicher Erbschein
Gibt es mehrere Erben, ist auf Antrag eines Erben ein gemeinschaftlicher Erbschein zu erteilen. Es kann aber auch jeder einzelne Erbe einen Teilerbschein beantragen, der nur seinen Anteil ausweist. Mehrere Teilerbscheine von Miterben können auch in einem Gruppenerbschein zusammengefasst werden.
Auseinandersetzungsklage
Sind die Erben wegen der Auseinandersetzung des Nachlasses zerstritten, kann jeder Miterbe eine Auseinandersetzungsklage zur Aufteilung des Nachlasses beim Nachlassgericht einreichen. Die Klage richtet sich auf die Zustimmung der Miterben zu einem bestimmten Teilungsplan. Dazu muss der klagende Erbe einen genauen Aufteilungsplan unter Berücksichtigung der Nachlassverbindlichkeiten und deren Befriedigung entworfen haben. Stimmt das Gericht dem Teilungsplan zu, ist die Auseinandersetzung unter den Miterben danach durchzuführen. Liegt der Wert des Erbanteils über 5000 €, ist das Landgericht zuständig, so dass wegen des Anwaltszwangs bei den Landgerichten ein Rechtsanwalt mit der Klage zu beauftragen ist.
Welche Rechtsmittel gibt es gegen Entscheidungen des Nachlassgerichts?
Trifft das Nachlassgericht eine Entscheidung, kann gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt werden (§ 58 FamFG). Die Beschwerdefrist beträgt einen Monat und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten.
Hält das Nachlassgericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hilft es ihr ab. Andernfalls legt das Nachlassgericht die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vor. Über die Beschwerde entscheidet eine Zivilkammer des für den Bezirk zuständigen Oberlandesgerichts. Gegen die Entscheidung des OLG kann Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt werden, soweit das OLG die Rechtsbeschwerde zum BGH wegen der grundsätzlichen Bedeutung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat.