Erstveröffentlichung am 18. Februar 2023, zuletzt aktualisiert am 18. August 2024. Autor: Dr. jur. Stephan Seitz
Nachlassverzeichnis: wann wird es benötigt und wie wird es erstellt?
4 Minuten sinnvoll investierte LesezeitDas Nachlassverzeichnis dient dazu, einen Überblick über den Nachlass zu erhalten und festzustellen, welche Vermögensgegenstände vorhanden sind und welche Verbindlichkeiten bestehen. Es bildet die Grundlage für die Verteilung des Nachlasses an die Erben und für die Abwicklung des Nachlassverfahrens.
Inhaltsverzeichnis: Darum geht es auf dieser Seite
- Welche Arten von Nachlassverzeichnissen gibt es?
- So wird ein Nachlassverzeichnis erstellt
- Welchen Zweck hat ein Nachlassverzeichnis?
- Nachlassverzeichnis zur Erfassung des Nachlasses
- Nachlassverzeichnis auf Verlangen des Pflichtteilsberechtigten
- Nachlassverzeichnis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft
- Nachlassverzeichnis durch den Testamentsvollstrecker
- Nachlassverzeichnis auf Antrag eines Gläubigers des Nachlasses
- Sonstige Gründe für die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses
Mein Name ist Stephan Seitz, ich bin Jurist und war vor wenigen Jahren selbst Teil einer Erbengemeinschaft. Dabei wurde mir klar: Miterben wollen keinen Streit, sondern eine Lösung. Alles was Sie dafür wissen müssen, schreibe ich hier auf. Mehr zu meiner Person.
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Welche Arten von Nachlassverzeichnissen gibt es?
Ein Nachlassverzeichnis kann als privates oder als notarielles Nachlassverzeichnis erstellt werden. Beide Verzeichnisse müssen den Nachlass vollständig und richtig wiedergeben. Inhaltlich sind sie identisch.
So wird ein Nachlassverzeichnis erstellt
Ein formal richtig erstelltes Nachlassverzeichnis sollte
- schriftlich verfasst sein,
- Angaben zur Person des Erblasser enthalten,
- vollständig und geordnet den Bestand des Nachlasses wiedergeben,
- vom Aussteller handschriftlich unterschrieben und mit Datum versehen worden sein und
- in einer einzigen Ausfertigung vorliegen.
Inhaltlich sind alle Nachlassgegenstände und Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers wiederzugeben. Hat der Erbe bereits über den Nachlass verfügt, sollten alle Verfügungen gesondert vermerkt werden.
Welchen Zweck hat ein Nachlassverzeichnis?
Der Erbfall begründet keine Verpflichtung des Erben, ein Nachlassverzeichnis erstellen. Die Gegebenheiten können es aber als sinnvoll erscheinen lassen, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen. Vielfach besteht auch eine gesetzliche Verpflichtung, ein solches Nachlassverzeichnis anzufertigen.
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Nachlassverzeichnis zur Erfassung des Nachlasses
Wer Erbe wird, muss entscheiden, ob er die Erbschaft annimmt oder ausschlägt. Insoweit empfiehlt es sich, zum Überblick über die Vermögenswerte und die Verbindlichkeiten des Nachlasses im eigenen Interesse freiwillig ein Nachlassverzeichnis zu erstellen. Das Ergebnis kann Grundlage für die Entscheidung sein, die Erbschaft anzutreten oder einen überschuldeten Nachlass auszuschlagen. Dies gilt umso mehr, als die Ausschlagung nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Anfall und Kenntnis des Erbfalls möglich ist.
Nachlassverzeichnis auf Verlangen des Pflichtteilsberechtigten
Am häufigsten wird ein Nachlassverzeichnis im Pflichtteilsrecht gefordert. Hat der Erblasser einen gesetzlichen Erben durch Testament oder Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, hat der Erbe immer noch einen Pflichtteilsanspruch. Um den Pflichtteil zu berechnen, ist der Pflichtteilsberechtigte darauf angewiesen, in Erfahrung zu bringen, was zum Nachlass gehört und welchen Wert die Nachlassgegenstände haben. Das Gesetz gewährt dem Pflichtteilsberechtigten einen Auskunftsanspruch (§ 2314 BGB).
Deshalb muss der Erbe den Pflichtteilsberechtigten darüber unterrichten, was der Erblasser hinterlassen hat. Im einfachsten Fall genügt es, ein Verzeichnis der Nachlassgegenstände und der Nachlassverbindlichkeiten zu erstellen sowie Schenkungen der letzten zehn Jahre und ausgleichs- und anrechnungspflichtige Zuwendungen an andere Pflichtteilsberechtigte anzugeben. Fordert der Pflichtteilsberechtigte ein Nachlassverzeichnis, kann er dem Erben selbst zur Erstellung eine Frist setzen und für den Fall der Nichtbeachtung rechtliche Konsequenzen (z.B. Auskunftsklage) androhen.
Soweit zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und dem Erben kein Misstrauen besteht, wird ein vom Erben selbst erstelltes Verzeichnis genügen. Der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, an der Aufstellung des Nachlassverzeichnisses beteiligt zu werden. Zusätzlich kann er fordern, einen Notar hinzuzuziehen. Aufgabe des Notars ist es, zu gewährleisten, dass das Verzeichnis ordnungsgemäß erstellt wird. Dies gilt auch, wenn der Erbe bereits ein privatschriftliches Verzeichnis erstellt hat.
Der Notar hat den Nachlassbestand selbst zu ermitteln und muss dazu eigene Nachforschungen anstellen. Er darf sich nicht auf die Erklärungen des Erben oder ein schon vorhandenes privates Verzeichnis beschränken. In der Praxis ergibt sich oft das Problem, dass der Notar relativ spät einbezogen wird und dann nur noch ermitteln kann, was vorhanden ist. Das Ergebnis hängt weitgehend vom Engagement des Notars ab.
Bestehen Zweifel, ob das Verzeichnis vollständig ist, kann der Pflichtteilsberechtigte den Erben auffordern, gegenüber dem Nachlassgericht an Eides statt zu versichern, dass er die Nachlassgegenstände nach bestem Wissen und Gewissen vollständig angegeben habe. Hat der Erbe Vermögenswerte bereits beiseite geschafft, erweist sich in der Praxis die eidesstattliche Versicherung allzu oft als ein „stumpfes Schwert“.
Ist der Wert eines Nachlassgegenstandes schwierig einzuschätzen, hat der Pflichtteilsberechtigte Anspruch auf Wertermittlung durch einen Sachverständigen. Die Kosten für die Wertermittlung gehen zu Lasten des Nachlasses. Das Sachverständigengutachten bietet nur eine Orientierung und ist rechtlich nicht verbindlich. Es versetzt den Pflichtteilsberechtigten aber in die Lage, den Wert des Nachlasses einzuschätzen und sich zu entscheiden, ob er sich zur Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs auf einen Prozess einlassen will oder nicht.
Nachlassverzeichnis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft
Um eine Erbengemeinschaft auseinanderzusetzen, muss jeder Erbe wissen, welche Vermögenswerte und Verbindlichkeiten vorhanden sind. Vor allem, wenn ein Miterbe keinen direkten Zugriff auf den Nachlass hat, empfiehlt es sich zur Vermeidung von Streitigkeiten, sämtliche Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zu erfassen und diese möglichst so zu bewerten, dass alle Miterben einverstanden sind. Ein Nachlassverzeichnis kann insoweit hilfreich sein, die Erbengemeinschaft auseinanderzusetzen.
Nachlassverzeichnis durch den Testamentsvollstrecker
Hat der Erblasser im Testament einen Testamentsvollstrecker bestimmt, muss dieser sofort nach dem Erbfall und sobald er den Umfang des Nachlasses überblickt, ein Verzeichnis der zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten erstellen und den Erben zukommen lassen (§ 2215 BGB). Auf Verlangen muss der Testamentsvollstrecker seine Unterschrift unter dem Nachlassverzeichnis öffentlich beglaubigen lassen. Jeder Erbe kann verlangen, bei der Aufnahme des Verzeichnisses hinzugezogen zu werden. Zudem kann der Testamentsvollstrecker die Aufnahme durch eine zuständige Behörde oder einen Notar vornehmen lassen. Die Kosten gehen zu Lasten des Nachlasses
Nachlassverzeichnis auf Antrag eines Gläubigers des Nachlasses
Errichtet der Erbe auf freiwilliger Basis oder auf Antrag eines Gläubigers ein Nachlassverzeichnis, kann er die persönliche Haftung auf den Nachlass beschränken und verhindern, dass er gegenüber den Gläubigern des Nachlasses mit dem Privatvermögen haftet (§ 1993 BGB). Insoweit ist das Nachlassverzeichnis Grundvoraussetzung für die darauf aufbauende Haftungsbeschränkung auf den Nachlass.
Ist das Inventarverzeichnis auf Antrag eines Gläubigers zu entrichten, bestimmt das Nachlassgericht dem Erben eine Inventarfrist von einem bis drei Monaten.
Wird das Inventarverzeichnis errichtet, vermutet das Gesetz im Verhältnis zu den Nachlassgläubigern, dass zur Zeit des Erbfalls keine weiteren Nachlasswerte als die im Nachlassverzeichnis verzeichneten Werte vorhanden waren. Dies bedeutet umgekehrt, dass der Erbe unbeschränkt und damit auch mit seinem Privatvermögen haftet, wenn er das Nachlassverzeichnis nicht rechtzeitig erstellt.
Sonstige Gründe für die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses
- Nachlassverzeichnis bei Erbschaftssteuer: Ist der Erbteil erbschaftssteuerpflichtig, muss der Erbe eine Erbschaftssteuererklärung beim Finanzamt abgeben und ein Nachlassverzeichnis beifügen.
- Nachlassverzeichnis im Erbscheinverfahren: Beantragt der Erbe einen Erbschein, muss er beim Nachlassgericht, nicht zuletzt zur Bemessung der Gebühren für das Erbscheinverfahren, ein Verzeichnis des Nachlasses einreichen. Hierzu übersendet das Nachlassgericht dem Erben einen umfangreichen Fragebogen.
- Nachlassverzeichnis bei minderjährigen Erben: Ist der Erbe minderjährig, verwalten die Eltern bis zur Volljährigkeit den Nachlass. Dazu müssen die Eltern ein Verzeichnis über den Nachlass erstellen und beim Familiengericht einreichen. Diese Verpflichtung besteht nicht, wenn der Wert des Nachlasses 15.000 € nicht übersteigt (§ 1640 BGB).
- Nachlassverzeichnis bei Vor- und Nacherbschaft: Ist der Erbe lediglich Vorerbe, ist er verpflichtet, auf Verlangen des Nacherben ein Nachlassverzeichnis anzufertigen (§ 2121 BGB). Der Nacherbe erhält einen Überblick über den Nachlass und Kenntnis, mit welchen Vermögenswerten er bei Eintritt des Nacherbfalls zu rechnen hat. Anders als üblich, wird dazu nicht auf den Todeszeitpunkt des Erblassers abgestellt, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem das Verzeichnis erstellt wird.