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Zuletzt aktualisiert am 17. August 2022 von Dr. jur. Stephan Seitz

Scheinerbe: nachträglich gefundenes Testament

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Hinterlässt der Erblasser kein Testament, tritt die gesetzliche Erbfolge in Kraft. Hat der Erblasser jedoch ein Testament verfasst, kommt es darauf an, dass das Testament bei seinem Ableben auch aufgefunden wird. Wird das Testament aber erst nachträglich gefunden, fällt der Nachlass wegen der gesetzlichen Erbfolge zunächst an eine Person, die der Erblasser eigentlich von der Erbfolge ausschließen wollte. Das Erbrecht trifft für diesen Fall eine Reihe von Regelungen, die dem wahren testamentarisch bestimmten Erben helfen, seine Rechte gegenüber dem unrechtmäßigen Erben (Scheinerbe) geltend zu machen.


Dr. Stephan Seitz
Hier schreibt Dr. jur. Stephan Seitz

Mein Name ist Stephan Seitz, ich bin Jurist und war vor wenigen Jahren selbst Teil einer Erbengemeinschaft. Dabei wurde mir klar: Miterben wollen keinen Streit, sondern eine Lösung. Alles was Sie dafür wissen müssen, schreibe ich hier auf.
 
Bitte beachten Sie meine rechtlichen Hinweise für diese Webseite. Der Inhalt dient ausschließlich der allgemeinen Information und Bildung sowie zur Unterhaltung. Für eine verbindliche Auskunft wenden Sie sich bitte an einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder vergleichbaren Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet.

Wer ein Testament auffindet, hat eine Ablieferungspflicht

Hat der Erblasser sein Testament in seinen Unterlagen verwahrt, ohne es in amtliche Verwahrung zu geben, muss jeder, der das Testament in den Unterlagen des Erblassers auffindet, das Testament an das Nachlassgericht abliefern (§ 2259 BGB). Dazu genügt es, das Dokument persönlich oder durch Boten oder mit der Post zu übergeben. Auch die Ablieferung beim nächstgelegenen Amtsgericht genügt, wenn es dem Finder nicht zuzumuten ist, das zuständige Nachlassgericht am Wohnort des Erblassers aufzusuchen.

Dabei es ist nicht Aufgabe des Finders darüber zu urteilen, ob das Testament formell oder inhaltlich richtig ist. Allein das Nachlassgericht entscheidet, ob ein Schriftstück als Testament anzuerkennen ist, ob es gültig, widerrufen oder sonst gegenstandslos ist. Deshalb sind auch Testamente abzuliefern, die erkennbar unwirksam sind sowie alle Schriftstücke, deren Eigenschaft als Testament zwar zweifelhaft erscheint, aber als Testament trotzdem in Betracht kommen. Abzuliefern ist stets das Original.

Erhält das Nachlassgericht Kenntnis, dass sich ein Testament im Besitz einer Person befindet, kann es den Besitzer auffordern, das Schriftstück unverzüglich abzuliefern oder die Ablieferung per Beschluss anordnen. Sollte der Besitzer das Testament pflichtwidrig nicht herausgeben, riskiert er, sich wegen Urkundenunterdrückung strafbar zu machen oder als Miterbe für erbunwürdig erklärt zu werden.

Wird das Schriftstück nicht aufgefunden, hat derjenige, der den Besitz bestreitet, an Eides statt zu versichern, dass er das Schriftstück nicht besitzt und auch nicht weiß, wo es sich befindet.

Was passiert, wenn ein Testament nachträglich aufgefunden wird?

Stellt sich heraus, dass der vermeintliche Erbe nicht Erbe sein soll, kann der wahre Erbe vom vermeintlichen Erben die Herausgabe des Nachlasses verlangen (§ 2018 BGB). Das Gesetz bezeichnet den vermeintlichen Erben als Erbschaftsbesitzer. Der Erbschaftsbesitzer hat gegen den vermeintlichen Erben einen Erbschaftsanspruch, den das Gesetz sehr detailliert in §§ 2018 ff BGB regelt.

Wer ist Erbschaftsbesitzer?

Erbschaftsbesitzer ist jeder, der Nachlassgegenstände unter Berufung auf sein vermeintliches Erbrecht dem wirklichen Erben vorenthält. Es kommt nicht darauf an, ob der Erbschaftsbesitzer guten Glaubens ist oder weiß, dass er nicht Erbe ist.

Erbschaftsbesitzer ist auch, dessen Erbrecht hinfällig wurde, weil das maßgebliche Testament erfolgreich angefochten wurde oder er für erbunwürdig erklärt wird. Dem Erbschaftsbesitzer ist gleichgestellt, wer von diesem die Erbschaft durch einen Erbteilkaufvertrag erworben hat.

Auch eine Erbengemeinschaft kann in ihrer Gesamtheit Erbschaftsbesitzer sein. Glauben beispielsweise Angehörige, dass sie den Erblasser aufgrund der gesetzlichen Erbfolge beerben, wird die Erbengemeinschaft zum Erbschaftsbesitzer, wenn sich später ein Testament auffindet, in dem der Erblasser eine andere Person oder eine einzelne Person aus der Erbengemeinschaft zum Erben bestimmt hat.

Scheinerbe

Der Erbschaftsbesitzer ist dem Erben auskunftspflichtig

Um den Nachlass einzuschätzen, verpflichtet das Gesetz den Erbschaftsbesitzer, dem Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu geben (§ 2027 BGB). Dazu gehört die Auskunft über den Bestand des Nachlasses, die erhaltenen Ersatzgegenstände, die gezogenen Nutzungen sowie über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände, die nicht mehr vorhanden oder nicht mehr aufzufinden sind.

Auskunftspflichtig ist darüber hinaus jeder, der sich zur Zeit des Erbfalls mit dem Erblasser in häuslicher Gemeinschaft befunden hat (§ 2028). Grund ist, dass eine Person wegen der räumlichen und persönlichen Beziehungen zum Erblasser Gelegenheit hatte, auf den Nachlass einzuwirken. Auskunftspflichtig sind daher Familienangehörige, Hausangestellte, Pflegepersonal oder Zimmernachbarn.

Was ist, wenn die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft erfolgt ist?

Haben die Miterben einer Erbengemeinschaft die Auseinandersetzung betrieben und den Nachlass auseinandergesetzt, werden die Miterben in der Erbengemeinschaft zum Erbschaftsbesitzer, wenn der Erblasser in einem später aufgefunden Testament einen Wunscherben bestimmt hat. Der testamentarisch bestimmte Erbe kann dann von der Erbengemeinschaft alles herausverlangen, was diese aufgrund ihres vermeintlichen Erbrechts aus der Erbschaft erlangt hat.

Praxis-Beispiel: Nach dem Tod des Vaters haben die überlebende Ehefrau sowie die beiden Kinder als gesetzliche Erben den Nachlass in Besitz genommen. Die Familie war der Meinung, es sei die gesetzliche Erbfolge eingetreten. Später fand sich ein Testament, in dem der Vater seinen bislang unbekannten unehelichen Sohn aus einer außerehelichen Beziehung zum alleinigen Erben eingesetzt hat. Die Familie hat inzwischen den Pkw des Vaters an Herrn X verkauft und den Kauferlös vereinnahmt.

Der testamentarisch bestimmte Erbe kann von der Erbengemeinschaft als Erbschaftsbesitzer die Herausgabe des vereinnahmten Kauferlöses verlangen und den Verkauf auf sich bewenden lassen. Herr X konnte rechtlich betrachtet jedoch als Käufer kein Eigentum an dem Pkw erwerben, da die Erbengemeinschaft nicht berechtigt war, über den Pkw zu verfügen. Auch ein gutgläubiger Erwerb durch den Erwerber scheidet aus, weil der Pkw dem Erben „abhanden“ gekommen ist (§ 935 BGB).

Das Gesetz erkennt in solchen Fällen zum Schutz des Eigentums des eigentlichen Eigentümers das Verkaufsgeschäft nicht an. Daher könnte der Erbe von Herrn X auch die Herausgabe des Pkw verlangen, müsste allerdings den Kaufpreis erstatten. Der Erbe hat insoweit ein Wahlrecht.

Hat der Erbschaftsbesitzer einen Vermögenswert eingetauscht, erstreckt sich die Herausgabepflicht auf das Tauschobjekt (§ 2020 BGB). Hat der Erbschaftsbesitzer mit Mitteln der Erbschaft etwas erworben, muss er das Erworbene übergeben (§ 2019 BGB). Gleiches gilt für Nutzungen, die der Erbschaftsbesitzer aus einem Vermögenswert zieht (z.B. Kapitalerträge bei Wertpapieren, Früchte vom Pachtgrundstück).

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Was, wenn eine Immobilie verkauft wurde?

Will die Erbengemeinschaft eine zum Nachlass gehörende Immobilie freihändig im gegenseitigen Einvernehmen verkaufen, muss sie im Grundbuch als neuer Eigentümer eingetragen sein. Dann bestimmt § 891 BGB die Vermutung, dass die Eigentümergemeinschaft tatsächlich auch Eigentümer der Immobilie ist und das Grundbuch die Rechtsverhältnisse an der Immobilie korrekt wiedergibt. Die Eintragung im Grundbuch erzeugt also den Rechtsschein, auch tatsächlich Eigentümer der Immobilie zu sein. Zudem bestimmt § 892 BGB, dass der Erwerber auf den Inhalt des Grundbuchs vertrauen darf.

Der Erwerber erwirbt dann tatsächlich das Eigentum, muss aber gutgläubig sein. Ihm schadet nur positive Kenntnis davon, dass der vermeintliche Erbe nicht der wirkliche Erbe ist. Dabei ist hinsichtlich der Gutgläubigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung für die Eintragung im Grundbuch abzustellen (§ 892 II BGB). Wurde zugunsten des Erwerbers im Grundbuch eine Auflassungsvormerkung eingetragen, wird im Hinblick auf seine Gutgläubigkeit auf den vorgelagerten Zeitpunkt abgestellt, in dem der Antrag auf Eintragung der Vormerkung beim Grundbuchamt gestellt wird. Erfährt der Erwerber danach, dass der Scheinerbe nicht Erbe ist, schadet ihm die später erlangte Kenntnis nicht.

Nicht zuletzt darf der Rechtsscheintatbestand nicht zerstört worden sein, indem beispielsweise der wirkliche Erbe einen Widerspruch im Grundbuch hat eintragen lassen.

Darüber hinaus ist die Rechtsposition des Erwerbers zusätzlich geschützt, wenn der Scheinerbe durch einen Erbschein als Erbe des Erblassers ausgewiesen ist. Insoweit kommt es zu einer doppelten Anwendung der Gutglaubensvorschriften. Nach § 2365 BGB wird vermutet, dass derjenige, der im Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das in dem Erbschein angegebene Erbrecht innehat. Auch der Erbschein genießt öffentlichen Glauben.

Der Erbe kann daher nicht verlangen, dass der Verkauf rückabgewickelt wird. Er kann aber verlangen, dass die vermeintliche Erbengemeinschaft den Verkaufserlös herausgibt.

Praxis-Beispiel: Der Erblasser hinterlässt ein Wohnhaus, in dem seine Mutter lebt. Seine überlebende Ehefrau und die Kinder gehen davon aus, dass sie gesetzliche Erben sind und werden nach Beantragung eines Erbscheins im Grundbuch als neue Eigentümer eingetragen. Die Familie verkauft das Haus. Der Erwerber fordert die im Haus lebende Mutter auf, das Haus zu räumen. Als ein Testament aufgefunden wird, in dem der Erblasser wegen seiner Zerstrittenheit mit seiner Familie die Mutter als alleinige Erbin eingesetzt hat, verlangt die Mutter die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Da die Familie aber als Eigentümer im Grundbuch eingetragen war und damit als Eigentümer legitimiert war, hat der Kaufvertrag Bestand. Der Erwerber durfte auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs und des Erbscheins vertrauen.

Was, wenn eine Immobilie teilungsversteigert wurde?

Wurde die Immobilie jedoch nicht freihändig verkauft, sondern im Wege der öffentlichen Zwangsversteigerung teilungsversteigert, ist die Situation eine andere. Der Erwerb im guten Glauben setzt nämlich ein Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts voraus.

Ein solches Rechtsgeschäft liegt aber nicht vor, wenn der Erwerb des Grundstücks durch einen Hoheitsakt erfolgt. Der Zuschlag in der Zwangsversteigerung ist ein solcher rechtsgestaltender Hoheitsakt und ist allein bestimmend für die Rechtsstellung des Erwerbers. Das vorherige Eigentum spielt keine Rolle (BGH NJW-RR, 2008, 222). In diesem Fall kann der Erbe von der vermeintlichen Erbengemeinschaft lediglich den Erlös herausverlangen. Er kann aber den Kaufvertrag nicht rückabwickeln. Unter Umständen könnte er auch noch Schadensersatzansprüche gegen die Erbengemeinschaft geltend machen, wenn diese den Kaufvertrag pflichtwidrig beurkundet hätte.

Wie, wenn der Erbteil verkauft wurde?

Verkauft der vermeintliche Erbe seinen Erbteil, ist der Erwerber rechtlich einem Erbschaftsbesitzer gleichgestellt (§ 2030 BGB). Dann ist der Erwerber verpflichtet, dem wahren Erben alles herauszugeben, was er durch den Kauf vom vermeintlichen Erben erlangt hat. Der Erwerber des Erbteils kann sich nicht darauf berufen, dass er den Erbteil in gutem Glauben erworben hat, also davon ausgegangen ist, dass der vermeintliche Erbe der wahre Erbe sei (Palandt, BGB § 2030).

Der wirkliche Erbe hat dann ein Wahlrecht. Er kann vom vermeintlichen Erben als dem Verkäufer des Erbteils den Erlös für den Verkauf des Erbteils herausverlangen. Er kann aber auch vom Erwerber verlangen, dass er ihm den Erbteil wieder zurück überträgt.

Der Fall kann auch in einer Erbengemeinschaft eintreten.

Praxis-Beispiel: Der Erblasser hinterlässt drei Kinder. Die Kinder gehen von der gesetzlichen Erbfolge aus. Kind 1 verkauft seinen Erbteil. Danach findet sich ein Testament, in dem der Erblasser Kind 3 zum alleinigen Erben bestimmt. Kind 3 kann von seinem Geschwisterteil Kind 1 verlangen, dass ihm der Erlös aus dem Erbteilverkauf übergeben wird. Alternativ kann er den Erwerber des Erbteils auffordern, den Erbteil zurück zu übertragen.

Fazit

Hat ein Scheinerbe den Nachlass in Besitz genommen, ist es für den wahren Erben meist schwierig, zu seinem Recht zu kommen. Das Problem lässt sich vermeiden, wenn der Erblasser das Testament in amtliche Verwahrung übergibt. Oder haben Sie als vermeintlicher Erbe den Verdacht, dass es ein Testament ergeben könnte, sollten Sie bei der Verwertung des Nachlasses Vorsicht walten lassen. Oder wird später ein Testament aufgefunden, sollten Sie sich als wahrer Erbe umgehend juristisch beraten lassen. Riskieren Sie nicht, sich im Dickicht des Erbrechts zu verlieren.

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